Anlässlich des 300. Geburtstages von Immanuel Kant am 22. April hat es in diesem Jahr ein sehr breites mediales Echo auf seine Philosophie und eine Fülle von Neuerscheinungen gegeben, die in Reaktion auf die multiplen Krisen unserer Zeit von einer großen Themenfülle gekennzeichnet waren, bei der man leicht den Überblick verlieren kann. Nicht zuletzt im Interesse einer „Nachlese“ der vielen aktuellen Würdigungen Kants soll in diesem Seminar der Versuch unternommen werden, das mit den drei Kritiken der reinen und der praktischen Vernunft sowie der Urteilskraft repräsentierte „Herzstück“ der kritischen Philosophie Kants in einen gemeinsamen Focus zu nehmen.
In der „Vorrede“ der Kritik der Urteilskraft (UK) heißt es, dass die Kritik der reinen Vernunft konstitutive Prinzipien des Verstandes, die Kritik der praktischen Vernunft konstitutive Prinzipien der Vernunft habe etablieren können und die Analyse der Urteilskraft „in der Ordnung unserer Erkenntnisvermögen zwischen dem Verstande und der Vernunft ein Mittelglied ausmache.“ Die Leitfrage der UK sei daher: „[O]b die Urteilskraft auch für sich Prinzipien a priori habe; ob diese konstitutiv oder bloß regulativ sind und ob sie dem Gefühle der Lust und Unlust, als dem Mittelglied zwischen dem Erkenntnisvermögen und Begehrungsvermögen […] a priori die Regel gebe.“
Da Kant im Haupttext der UK auf die in der Einleitung diskutierte Vermittlungsfunktion von Erkenntnis- und Begehrungsvermögen, Verstand und Vernunft, Natur und Freiheit bzw. Gesetzmäßigkeit und Endzweck nicht mehr zurück kommt, scheint die „Einleitung“, die wir in diesem Seminar gemeinsam diskutieren wollen, für Kant von außerordentlicher Bedeutung für die Untersuchung einer „Kritik des reinen Erkenntnisvermögens überhaupt“ zu sein.
Anders als in den Einführungen der vergangenen Semester werden wir uns dieses Mal nur mit einem Autor beschäftigen. Wie in der Vergangenheit, werden zu den einzelnen Paragraphen der Einleitung der UK aber wieder Essayfragen gestellt, die sowohl die Grundlage für die gemeinsame Diskussion wie auch für Leistungsnachweise sein können. Sofern nicht andere Ausgaben bereits vorliegen, bitte ich alle Studierenden als gemeinsame Textgrundlage die preiswerte Ausgabe der UK bei Reclam anzuschaffen. Ein umfangreiches Literaturverzeichnis, das sowohl Kommentare zur UK wie aktuelle Neuerscheinungen von und über Kant enthält, werde ich Ihnen zu Semesterbeginn zukommen lassen.