Seminar: 4.03.2206 Herbert Marcuse: Natur, Freiheit, Öko-Sozialismus - Details

Seminar: 4.03.2206 Herbert Marcuse: Natur, Freiheit, Öko-Sozialismus - Details

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General information

Course name Seminar: 4.03.2206 Herbert Marcuse: Natur, Freiheit, Öko-Sozialismus
Subtitle
Course number 4.03.2206
Semester SoSe2025
Current number of participants 30
maximum number of participants 30
Entries on waiting list 15
Home institute Institute of Philosophy
Courses type Seminar in category Teaching
Next date Tuesday, 22.04.2025 16:00 - 18:00, Room: A14 0-030
Type/Form Seminar
Lehrsprache deutsch

Rooms and times

A14 0-030
Tuesday: 16:00 - 18:00, weekly (12x)
V03 0-D003
Tuesday: 16:00 - 18:00, weekly (1x)
V03 0-D001
Tuesday: 16:00 - 18:00, weekly (1x)

Module assignments

Comment/Description

Herbert Marcuse: Natur, Freiheit, Öko-Sozialismus
Herbert Marcuse (1898-1979) hatte eine dialektische Kulturkritik als kritische Theorie praktisch-gesellschaftlichen Eingreifens begründet, die auf den Fundamenten von Kants Aufklärungs- und Kritikbegriff, Hegels Theorie der bürgerlichen Gesellschaft, Marx‘ historischem Materialismus und Freuds Psychoanalyse beruht. Dass philosophische Interpretation beschädigter Weltverhältnisse zur politischen Veränderung führen muss und soll, war für Marcuse kein Privileg für Philosophen, sondern Aufgabe von veränderungswilligen Menschen, um die Welt in eine gerechte Ordnung zu bringen, worin der Mensch kein ramponiertes oder verächtliches Wesen ist.
Dass Marcuses Fortentwicklung marxistischer Kapitalismus-Kritik auf der Matrix von Amerika-Erfahrungen mitberuht, trifft auf kaum einen anderen Vertreter der Kritischen Theorie in aller Deutlichkeit zu. Heute wäre er einer der radikalsten US-Kritiker techno-faschistischer Plutokratie, protektionistischer Diskontinuitäts- und Machtpolitik, grenzenloser Immobilienspekulation und kalkuliertem Bildungskahlschlag gewesen – einer schlechterdings antivisionären Entwicklung, die u. a. mittels ideologischer Fake News und Datendiktatur (Zusammenwirken von Big Brass und Big Media), Degradierung von Staatsbeamten und Abschaffung demokratischer Grundstrukturen durchgesetzt wird. Was macht die Originalität und Aktualität von Marcuses Schriften angesichts des Bedeutungsentzugs der Rede- und Meinungsfreiheit der Opposition in den USA aus, die er im Kontext faschistischer Gleichschaltung im Dritten Reich, gesteigerter Aggressionsbereitschaft und eindimensionaler Abrichtungen der Subjekte im Industriekapitalismus verfasste, ohne je plumpe Ressentiments verbreitet zu haben?
Als revolutionserfahrener Soldatenrat in Berlin (1918) und über den deutschen Bildungsroman in Freiburg promovierter Germanist (1922) wurde Marcuse anfangs durch die Existenzphilosophie Martin Heideggers geprägt. Zu Beginn der 1930er Jahre entwickelte er entlang von Marx‘ wiederentdeckten „Pariser Manuskripten“ einen Entfremdungsbegriff, der den ganzen Menschen erfasst und die affirmative Herrschaft über Natur und Kultur begründet; später, im amerikanischen Exil, findet die Hinwendung zur Psychoanalyse in dem Werk „Triebstruktur und Gesellschaft“ (1955) statt. Sensibel für Sozial- und Minoritätsfragen und antirassistische Proteste der Bürgerrechtsbewegung, die sich auf dem kalifornischen Verbundcampus von Berkeley und San Diego herausbildeten und großen Einfluss auf das Free Speech Movement und die Studenten- und Antikriegsbewegung ausübten (Vietnamkrieg), hatte Marcuse um 1965 zeitaktuell eine technologiekritische Sozial- und Freiheitsphilosophie entwickelt, die ihren theoretischen Ausgangspunkt in den Geistesgewölben des deutschen Idealismus und deren materialistisch-dialektischen Kritiker fand.
Speziell zu befragen ist die philosophische Konstruktion ausgewählter Schriften, worin Marcuse mit Begriffen wie „affirmative Kultur“, „promesse du bonheur, „Befreiung“, „Revolte“, „große Weigerung“ oder „neue Sensibilität“ operierte. Weitere Termini wie „Negation“, „Fortschritt von Ausbeutung und Herrschaft“, „allseitig entwickeltes Individuum“ versus „verstümmelte Erfahrung“ oder „sozialistischer Humanismus“ verweisen auf seine Philosophie der Praxis, die auch im Sinne des platonisch-zeugenden Eros konzipiert ist. Zuletzt beschäftigten Marcuse, angeregt durch die alarmierende Wachstumskritik des Club of Rome (1972), die menschengemachte „Vergewaltigung der Natur“ und „Naturbeherrschung auf Kosten der Freiheit“ als Raubbauphänomene, die zur Zerstörung der Lebensvoraussetzungen (Klimakatastrophe, Artenrückgang) auf dem Planeten führen. Aber der destruktiven Wachstums- und Destruktionslogik als Subsumtion der Natur unter das Kapital setzte Marcuse die von Marx entwickelte Zusammenbruchs- und Zerfallsthese übersättigter Warenproduktion entgegen, indem der Kapitalismus seine eigene Basis durch Reproduktion von sozialem Wohlstand, Verschwendung und steigender Produktion von Luxusgütern untergräbt. Der tendenzielle Fall der Profitrate schafft jedoch den Kapitalismus nicht von selbst ab, weshalb Marcuse bei der Transformation der Widersprüche kapitalistischer Produktionsweise auf die Arbeiterbewegung, Frauenbewegung und neue oppositionelle Gruppen setzte sowie das Ausscheren kreativer Produktiv- und Transzendenzkräfte der bürgerlichen und avantgardistischen Künste, Musik, Literatur und verantwortungsvollen Wissenschaft als quirlige Graswurzelalternative dingfest machte. Wie Marcuse seine Theoreme und Thesen eigensinnig begründete, ob und welche Antworten sie auf die entsinnlichenden Entfremdungsprozesse des Kapitalismus im neuen Zeitalter vom Ende des Westens bereithalten oder wie die freiwillige Knechtschaft und Angst vor der Freiheit überwunden werden können, bildet den Gegenstand unserer Lektüren und Erörterungen. Dass in diesem Zusammenhang die Philosophie in den Krisenzeiten der Geschichte praktisch werden müsse, entspricht der bekennenden Haltung, die Marcuse mit Marx verbindet.
Voraussetzungen: Lust und Laune zur Lektüre und zum Eingrooven in die Diskussionen. Alle Texte, die chronologisch zu lesen sind, werden demnächst in meinem Seminarhandapparat der UB eingestellt. Zur Anschaffung empfohlen wird die Luchterhand – oder DTV-Ausgabe „Der eindimensionale Mensch“ und die Suhrkamp-Taschenbücher „Versuch über die Befreiung“ (1969) und „Konterrevolution und Revolte“ (1972), die antiquarisch gut und billig über „ZVAB“ (Zentrales Verzeichnis antiquarischer Bücher) zugänglich sind. Benutzbar ist auch die 9-bändige Werkausgabe „Schriften“. In der ersten Sitzung wird die Vorrede zum ‚Eindimensionalen Menschen‘ behandelt.
Primärliteratur:
Marcuse, Herbert: Schriften (Bd. 1-9). Lüneburg: zu Klampen Verlag 2004.
– Der eindimensionale Mensch. Studien zur Ideologie der fortgeschrittenen Industriegesellschaft [1964]. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Alfred Schmidt. Neuwied, Berlin: Luchterhand Verlag 1970.
– Versuch über die Befreiung [1968]. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Helmut Reinicke und Alfred Schmidt. Frankfurt/Main: Suhrkamp Verlag 1969.
– Kulturrevolution [1970]. In: Ders.: Nachgelassene Schriften. Band 1: Schicksal der bürgerlichen Demokratie. Herausgegeben und mit einem Vorwort von Peter-Erwin Jansen. Aus dem Amerikanischen von Michael Haupt. Lüneburg: zu Klampen Verlag 1999, S. 81-134.
– Konterrevolution und Revolte [1972]. Unter Mitwirkung von Alfred Schmidt aus dem Englischen übersetzt von R. & R. Wiggerhaus. Frankfurt/Main: Suhrkamp Verlag 1973.
– Kunst und Befreiung [1974, Bremer Rede]. In: Ders.: Nachgelassene Schriften. Band 2: Kunst und Befreiung. Herausgegeben und mit einem Vorwort von Peter-Erwin Jansen. Einleitung von Gerhard Schweppenhäuser. Aus dem Amerikanischen von Michael Haupt und Stephan Bundschuh. Lüneburg: zu Klampen Verlag 2000, S. 129-156.
– Kapitalismus und Opposition. Vorlesungen zum eindimensionalen Menschen. Paris, Vincennes 1974. Herausgegeben von Lisa Doppler, Peter-Erwin Jansen und Alexander Neupert-Doppler. Mit einer Einleitung von Roger Behrens. Lüneburg: zu Klampen Verlag 2017, S. 45-109.
– Die Permanenz der Kunst. Wider eine bestimmte marxistische Ästhetik [1977]. In: Ders.: Schriften 9. Konterrevolution und Revolte. Zeit-Messungen. Die Permanenz der Kunst. Frankfurt/Main: Suhrkamp Verlag 1987, S. 191-241.
– Die 68er-Bewegung zehn Jahre danach [1978]. In: Ders.: Nachgelassene Schriften. Band 4: Die Studentenbewegung und ihre Folgen. Herausgegeben und mit einem Vorwort von Peter-Erwin Jansen. Einleitung von Wolfgang Kraushaar. Aus dem Amerikanischen von Thomas Laugstien. Lüneburg: zu Klampen Verlag 2004, S. 130-139.
– Lyrik nach Auschwitz [1978]. In: Ders.: Nachgelassene Schriften. Band 2: Kunst und Befreiung, S. 157-166.
– Kinder des Prometheus. Thesen zu Technik und Gesellschaft [1979]. In: Ders.: Nachgelassene Schriften. Band 6: Ökologie und Gesellschaftskritik. Herausgegeben und mit einem Vorwort von Peter-Erwin Jansen. Lüneburg: zu Klampen Verlag 2009, S. 157-164.
– Ökologie und Gesellschaftskritik [1979]. In: Nachgelassene Schriften. Band 6: Ökologie und Gesellschaftskritik, S. 165-176.
Forschungsliteratur:
Breines, Paul: Marcuse and the New Left in America. In: Habermas, Jürgen (Hrsg.): Antworten auf Herbert Marcuse. Frankfurt/Main: Suhrkamp Verlag 1968, S. 134-151.
Davis, Angela, Y.: Marcuses Vermächtnis. In: Keine Kritische Theorie ohne Amerika. Herausgegeben von Detlev Claussen, Oskar Negt und Micheal Werz. Frankfurt/Main: Verlag Neue Kritik 1999, S. 92-101.
Deppe, Frank: Politisches Denken im Übergang ins 21. Jahrhundert. Rückfall in die Barbarei oder Geburt einer neuen Weltordnung. Hamburg: VSA Verlag 2010.
Doppler, Alexander: Soziale Arbeit als katalytische Praxis. Impulse von Herbert Marcuse. Berlin: Frank & Timme 2023.
Doppler, Lisa: Widerständiges Wissen. Herbert Marcuses Protesttheorie in Diskussion mit Intellektuellen der Refugee-Bewegung der 2010er Jahre. Bielefeld: Transkript Verlag 2021.
Flego, Gvozden/Schmied-Kowarzik, Wolfdietrich (Hrsg.): Herbert Marcuse – Eros und Emanzipation. Marcuse-Symposium 1988 in Dubrovnik. Gießen: Germinal Verlag 1989.
Kritik und Utopie im Werk von Herbert Marcuse. Herausgegeben vom Institut für Sozialforschung. Frankfurt/Main: Suhrkamp Verlag 1992.
Jürgen Habermas, Silvia Bovenschen u. a.: Gespräche mit Herbert Marcuse. Frankfurt/Main: Suhrkamp Verlag 1978.
Haug, Wolfgang Fritz: Das Ganze und das ganz Andere. Zur Kritik der reinen revolutionären Transzendenz. In: Antworten auf Herbert Marcuse. Frankfurt/Main: Suhrkamp Verlag 1968, S. 50-72.
Reitz, Charles: Ecology and Revolution: Herbert Marcuse and the Challenge of a New World. New York: Routledge 2018.
Ruschig Ulrich: Die Befreiung der Natur. Zum Verhältnis von Natur und Freiheit bei Herbert Marcuse. Köln: PapyRossa Verlag 2020.
– Wie kapitalistische Herrschaft die lebendige Natur ruiniert. Artensterben, Massentierhaltung und die Vergiftung der Welt. Köln: PapyRossa Verlag 2025.
Steigerwald, Robert: Herbert Marcuses ‚dritter Weg‘. Köln: Pahl-Rugenstein Verlag 1969.
Zeitplan:
08. 04. 2025 Einführung; Der eindimensionale Mensch (1965)
15. 04. 2025 Der eindimensionale Mensch
22. 04. 2025 Der eindimensionale Mensch
29. 04. 2025 Der eindimensionale Mensch
06. 05. 2025 Versuch über die Befreiung (1969)
13. 05. 2025 Versuch über die Befreiung
20. 05. 2025 Versuch über die Befreiung; Kulturrevolution (1970)
27. 05. 2025 Konterrevolution und Revolte (1972)
03. 06. 2025 Konterrevolution und Revolte
10. 06. 2023 Konterrevolution und Revolte; Kunst und Befreiung (1974, Bremer Rede); Kapitalismus und Opposition. Vorlesungen zum eindimensionalen Menschen (1974)
17. 06. 2025 Die Permanenz der Kunst (1977)
24. 06. 2025 Die Permanenz der Kunst
01. 07. 2025 Lyrik nach Auschwitz (1978); Die 68er-Bewegung zehn Jahre danach (1978)
08. 07. 2025 Kinder des Prometheus (1979); Ökologie und Gesellschaftskritik (1979); Abschlussgespräch

Admission settings

The course is part of admission "3. Begrenzung Fachwissenschaft (SoSe 2025)".
The following rules apply for the admission:
  • Enrolment is allowed for up to 8 courses of the admission set.
  • A defined number of seats will be assigned to these courses.
    The seats will be assigned in order of enrolment.
  • The enrolment is possible from 23.02.2025, 18:20 to 30.04.2025, 23:59.
Assignment of courses: