Seit einigen Jahrzehnten beschäftigen sich verschiedene wissenschaftliche Disziplinen und insbesondere die Soziologie verstärkt mit einem von den Sozialwissenschaften vorher weitgehend vernachlässigten Gegenstand, dem Körper. Diese Aufwertung lässt sich als richtungsweisender „body turn“ (Gugutzer 2006) wie auch als trendhafter „Körperboom“ (Meuser 2004) beschreiben. Aus der Kritik eines biologistischen Körperverständnisses, wie es in den Naturwissenschaften vorherrscht, und einer theoretischen Fokusverschiebung auf „die Körperlichkeit sozialen Handelns“ (Böhle & Weihrich 2010) haben sich neue Forschungsfelder und -themen entwickelt. Dazu zählen insbesondere Bewegungs- und Sportpraktiken sowie die körperlichen Aspekte didaktischer Wissensvermittlung.
Einen Forschungsschwerpunkt bildet in diesem Zusammenhang die Frage der Genese von Körperwissen in seiner Doppelbedeutung als Wissen vom Körper und Wissen des Körpers. Es geht hier zum einen um die Entstehung gesellschaftlicher und individueller expliziter Wissensbestände über den Körper und wie diese als handlungsweisende und strukturierende Elemente soziale Ordnungen, Interaktionen und Körper formen und beeinflussen. Themen sind u.a. die Aushandlungen gesellschaftlicher Erwartungen an Körper sowie die Effekte und Konsequenzen der Etablierung spezifischer Körpernormen für den sozialen Alltag und die gesellschaftliche Organisation. Zum anderen wird untersucht, wie Wissen im praktischen körperlichen Vollzug erlernt und performt wird und wie dadurch Körper und Wissen wechselseitig hervorgebracht werden. Im Fokus steht hier implizites körperliches Wissen, das nicht diskursiv zur Verfügung steht, sondern sich performativ in der Praxis zeigt. Themen sind u.a. das körperlich/leibliche Spüren als reflexives Selbstverhältnis sowie die Ausbildung praktischer Befähigungen zur Teilnahme an sozialen Praktiken und gesellschaftlichen Vollzugszusammenhängen.
Das Seminar beschäftigt sich anhand theoretischer Grundlagen und praxeologischer empirischer Studien damit, wie sich das Verhältnis von Körper und Wissen sozialwissenschaftlich beschreiben lässt und wie Körper und Wissen sich in Praktiken wechselseitig konstituieren.
Empfohlene Literatur:
Alkemeyer, Thomas (2015): Verkörperte Soziologie – Soziologie der Verkörperung. Ordnungsbildung als Körper-Praxis. Soziologische Revue 38(4): 470–502.
Böhle, Fritz & Weihrich, Margit (2010): Die Körperlichkeit sozialen Handelns. Soziale Ordnung jenseits von Normen und Institutionen. Bielefeld: transcript.
Featherstone, Mike & Turner, Bryan S. (1995): Body & Society: An Introduction. In Body & Society (1): 1-12, doi:10.1177/1357034X95001001001
Gugutzer, Robert (2015): Soziologie des Körpers. Bielefeld: transkript (5. vollst. überarb. Aufl.).
Gugutzer, Robert (2006): Body turn. Perspektiven der Soziologie des Körpers und des Sports. Bielefeld: transkript.
Keller, Reiner & Meuser, Michael (Hg.) (2011): Körperwissen. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Meuser, Michael (2004): Zwischen „Leibvergessenheit“ und „Körperboom“. Die Soziologie und der Körper. Sport und Gesellschaft – Sport and Society 1(3): 197-218.
Der Prüfungszeitraum wird mit Beginn der Anmeldung zu den Prüfungen bekannt gegeben.
Module examination
G
Skills to be acquired in this module
Die Studierenden vertiefen ihr sozial- und kulturwissenschaftliches Instrumentarium zur Erforschung des Sports und anderer Bewegungspraktiken. Sie lernen multiperspektivisch strukturierte Zusammenhänge zwischen Lebenslagen, Lebensführungsstilen, gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen (etwa der Gesundheitspolitik) und dem Sportengagement innerhalb und außerhalb der Sportorganisationen und vergleichbarer Einrichtungen zu erfassen, die diversen Phänomene des Sports und der Bewegungskultur mit zentralen kulturanalytischen (wie Repräsentation, Performativität und Gender) sowie organisationstheoretischen Konzepten zu analysieren und aus der Zusammenführung der Perspektiven Konsequenzen für die Konzeption zielgruppenbezogener Sportangebote in unterschiedlichen organisatorischen Zusammenhängen des Sports zu ziehen.