Seminar
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4.03.1151 - Kritisches Denken
Thursday: 10:15 - 11:45, weekly (from 13/04/23) Dates on Thursday, 17.08.2023 09:00 - 18:00, Monday, 09.10.2023 09:00 - 11:30
Dieses Seminar mit Vorlesungscharakter soll Ihr kritisches Denken insofern anregen, als es Ihnen helfen soll, Fehlschlüsse zu identifizieren und damit Denkfehler zu vermeiden. Zuerst wird es darum gehen, wie man Schlüsse bzw. Argumente analysiert und was deduktiv gültige von induktiv gültigen Argumenten unterscheidet. Nach der Unterscheidung zwischen Entdecken, Begründen und Erklären werden verschiedene Arten deduktiver Fehlschlüsse thematisiert. Anschließend stehen induktive und dabei insbesondere statistische und kausale Fehlschlüsse im Blickpunkt. Zur Veranschaulichung werden viele reale Beispiele aus Wissenschaft und Alltag herangezogen.
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4.03.5303 - Formen und Funktionen logischer und performativer Widersprüche
- Dr. phil. Gregor Damschen, M.A.
Tuesday: 16:15 - 17:45, weekly (from 11/04/23)
Wir werden uns in diesem Seminar mit zwei Arten von Widersprüchen beschäftigen: dem logischen und dem performativen Widerspruch.
1. Was ist ein logischer Widerspruch? Aristoteles verteidigt im vierten Buch seiner „Metaphysik“ ein oberstes ontologisches und logisches Prinzip: den „Satz vom zu vermeidenden Widerspruch“ oder „Nichtwiderspruchssatz“. Dieses Prinzip lautet: „Dasselbe kann demselben nicht in derselben Hinsicht zugleich zukommen und nicht zukommen.“ Eine formale Variante des Nichtwiderspruchssatzes ist das logische Prinzip ~(A & ~A). Der Nichtwiderspruchssatz besagt erstens, dass es keine wahren Widersprüche geben kann, und er besagt zweitens, dass eine Wahrheitswerthäufung (truth value glut) bei Aussagen unmöglich ist, es also keine einzige Aussage geben kann, die zugleich wahr und falsch ist. Die verstärkte Lügner-Paradoxie („Dieser Satz ist nicht wahr.“) scheint aber eine Aussage zu sein, die dem Nichtwiderspruchssatz widerspricht. Denn man kann deduktiv gültig beweisen, dass sie wahr ist, und ebenso, dass sie falsch ist. Sie besitzt also eine Wahrheitswerthäufung, sie ist ein wahrer Widerspruch. Die philosophische Richtung, die behauptet, dass einige Widersprüche wahr sein können, ist der Dialethismus (dialetheism). Einer der Hauptvertreter des Dialethismus ist der Logiker und Philosoph Graham Priest, der in seinem Buch „Doubt Truth to be a Liar“ Aristoteles’ Beweis für den NWS ausführlich kommentiert und angegriffen hat (S. 7-42). Wir werden überprüfen, wer die besseren Argumente hat: Aristoteles oder Priest.
2. Der performative Widerspruch ist, anders als der logische Widerspruch, kein Gegensatz zwischen zwei kontradiktorischen Sätzen A und ~A, sondern ein Gegensatz zwischen dem, was jemand mit einem Sprechakt tut oder voraussetzt, und dem, was er in demselben Sprechakt sagt, also ein Gegensatz zwischen der Performanz und dem propositionalen Gehalt eines Sprechaktes. In dem Behauptungsakt „Ich sage jetzt überhaupt nichts.“ zum Beispiel widerspricht der Akt (es wird etwas gesagt) seinem Inhalt (dass überhaupt nichts gesagt wird). Philosophisch interessant wird diese Widerspruchsgruppe, wenn wir Sätze wie „Ich existiere nicht.“ untersuchen. Der Satz selbst hat offensichtlich nicht die Form eines logischen Widerspruchs „A und ~A“ und doch widerspricht der Behauptungsakt seinem Inhalt dadurch, dass der Behauptungsakt bereits die Existenz des Sprechers voraussetzt, die im propositionalen Inhalt des Satzes verneint wird. Könnte man, so lautet die philosophisch interessante Frage, mit Hilfe performativer Widersprüche Inhalte offenlegen, die man nicht sinnvoll bezweifeln kann?
Wir werden in diesem Kurs die formale Analyse der beiden Widerspruchsarten und die Frage nach dem Prinzipienstatus ihrer entsprechenden Vermeidungsregeln, dem logischen und performativen Nichtwiderspruchssatz, mit der Frage nach den philosophischen Funktionen der beiden Widerspruchsarten verbinden.
Kenntnisse klassischer und nicht-klassischer Logiksysteme, auch der Modallogik(en), sind in diesem Kurs von großem Vorteil.
Literatur:
Apel, Karl-Otto: „Das Problem der philosophischen Letztbegründung im Lichte einer transzendentalen Sprachpragmatik. Versuch einer Metakritik des ›kritischen Rationalismus‹“, in: ders., Auseinandersetzungen in Erprobung des transzendentalpragmatischen Ansatzes, Frankfurt/M. 1998, 33-79 (zuerst in: B. Kanitscheider, Hrsg., Sprache und Erkenntnis. Festschrift für G. Frey, Innsbruck 1976, 55-82).
Ders.: „Fallibilismus, Konsenstheorie der Wahrheit und Letztbegründung“, in: ders., Auseinandersetzungen in Erprobung des transzendentalpragmatischen Ansatzes, Frankfurt/M. 1998, 81-193.
Aristoteles: Metaphysik, Erster Halbband: Bücher I (A) - VI (E), Griechisch-Deutsch. Neubearbeitung der Übersetzung von Hermann Bonitz, mit Einleitung und Kommentar herausgegeben von Horst Seidel, griechischer Text in der Edition von Wilhelm Christ, 3. verbesserste Auflage, Hamburg: Meiner 1989.
Cassin, B., Narcy, M.: La décision du sens – le livre Gamma de la Métaphysique d’Aristote, Paris 1989.
Damschen, G.: „Das Prinzip des performativen Widerspruchs. Zur epistemologischen Bedeutung der Dialogform in Platons ‚Euthydemos‘“, in: Méthexis 12 (1999), 89-101.
Dancy, R. M.: Sense and Contradiction, Dordrecht 1975.
Gottlieb, P.: „Aristotle on Non-Contradiction“, in: Stanford Encyclopedia of Philosophy. https://plato.stanford.edu/entries/aristotle-noncontradiction/
Habermas, Jürgen: „Universalisierungsanspruch und performativer Widerspruch“, in: ders., Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, dort: „Diskursethik – Notizen zu einem Begründungsprogramm“, Frankfurt a.M. 1983, 86-125; jetzt auch in: U. Wirth (Hrsg.), Performanz, Frankfurt a.M. 2002, 159-182.
Hafemann, B.: Aristoteles’ transzendentaler Realismus, Berlin 1998 (sehr schwierig, aber sehr wichtig).
Hintikka, Jaakko: „Cogito, ergo sum: Inference or Performance?“, Philosophical Review 71, 1962, 3-32.
Hösle, Vittorio: „Begründungsfragen des objektiven Idealismus“, in: Philosophie und Begründung, hrsg. vom Forum für Philosophie Bad Homburg, Frankfurt/M. 1987, 212-267.
Ders.: Hegels System, Bd. 1, Hamburg 1988.
Ders.: Die Krise der Gegenwart und die Verantwortung der Philosophie, München 11990, 31997, 152-159.
Kettner, Matthias: „Ansatz zu einer Taxonomie performativer Selbstwidersprüche“, in: A. Dorschel u. a. (Hrsg.), Transzendentalpragmatik, Frankfurt a.M. 1993, 187-211.
Kirwan, C. A.: Aristotle’s Metaphysics. Books Gamma, Delta, Epsilon, translated with notes by Christopher Kirwan, Oxford: Clarendon 1971.
Kuhlmann, Wolfgang: „Reflexive Letztbegründung. Zur These von der Unhintergehbarkeit der Argumentationssituation“, Zeitschrift für philosophische Forschung 35, 1981, 3-26.
Ders.: Reflexive Letztbegründung. Untersuchungen zur Transzendentalpragmatik, Freiburg 1985.
Ders.: „Bemerkungen zum Problem der Letztbegründung“, in: A. Dorschel u.a., Hrsg., Transzendentalpragmatik. Ein Symposion für K.-O. Apel, Frankfurt/M. 1993, 212-237.
Łukasiewicz, Jan: „Über den Satz des Widerspruchs bei Aristoteles“, aus dem Polnischen übers. v. J. Barski, mit einem Vorwort v. J.M. Bochénski, in: N. Öffenberger, Hrsg., Zur modernen Deutung der Aristotelischen Logik, Bd. V, Hildesheim 1993 (ältere Studie; immer noch wichtig).
Passmore, John: Philosophical Reasoning, New York 1961.
Priest, Graham: Doubt Truth to be a Liar, Oxford: Oxford U.P. 2006. („Zweifle, ob die Wahrheit ein Lügner ist“, Hamlet II ii 115)
Rapp, C.: „Aristoteles über die Rechtfertigung des Satzes vom Widerspruch“, in: Zeitschrift für philosophische Forschung 47 (1993), 521-541.
Roetti, J. A.: „Der Satz vom Widerspruch: dialogische und pragmatische Begründung“, in: N. Öffenberger, A. G. Vigo, Hrsg., Südamerikanische Beiträge zur modernen Deutung der Aristotelischen Logik, Hildesheim 1997, 49-81.
Schönrich, G.: Bei Gelegenheit Diskurs. Von den Grenzen der Diskursethik und dem Preis der Letztbegründung, Frankfurt/M. 1994.
Strawson, Peter F.: Introduction to Logical Theory, London/New York 1952.
Weitere Literatur wird im Laufe des Kurses genannt.
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